Machen wir mal einen Versuch




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Machen wir mal einen Versuch

Beitragvon deria » Fr 1. Feb 2008, 00:53

Montag, 30. Juli 2007
Battle Creek, Willow Creek und die Zukunft der Adventgemeinde

Diese ganze Gottesdienstthematik verfolgt mich irgendwie. Vor zwei Wochen war Skype in München, letzte Woche contact, wieder in München, und diesen Samstagabend LA-7 in Landshut. Bei allen drei Veranstaltungen handelt es sich um alternative Gottesdienstansätze in denen versucht wird jüngere Menschen anzusprechen. Obwohl durch das Buch “The Emerging Church” eine andere Richtung für postmoderne Gottesdienste vorschlägt (eine Kritik des Buches demnächst hier), orientiert sich die Praxis in Deutschland z.B. auch von den Generations Gottesdiensten immer noch sehr stark an Willow Creek. Deswegen poste ich hier einfach mal ein Essay, dass ich noch in USA geschrieben habe - nach meinem Besuch in Willow Creek eben. Bitte alle Vorurteile über mich oder Willow vor dem Lesen auf Stand-by schalten.
Das Programm beginnt und ich habe das Gefühl plötzlich in eine andere Zeit versetzt zu sein. Als Jugendlicher, besuchte ich hin und wieder Konzerte in der Münchener Olympia-Halle und sowohl die Größe des Raumes in dem ich mich nun befinde, als auch die Lautstärke der Musik erinnern mich stark an diese Erfahrungen, die inzwischen mehr als zehn Jahre zurück liegen. Jetzt vibriert der Bass wieder in meiner Lunge und doch ist es ganz anders als damals. Die Menschen um mich herum sind durchwegs elegant gekleidet und mindestens 20 Jahre zu alt. Außerdem sitzen wir alle in bequemen Kinosesseln anstatt uns vor der Bühne zu drängeln. Aber ein gewisser Unterschied muß wohl auch sein, immerhin befinde ich mich in einer Kirche.

Willow Creek, die bekannteste und einflussreichste evangelikale Mega-Gemeinde der USA liegt nur drei Autostunden südlich der Andrews Universität und ist von daher ein Pflichttermin für mich als zukünftigen Prediger. Ist man als europäischer Adventist schon von den Dimensionen der Universitätsgemeinde beeindruckt, so sprengt Willow Creek alle Kategorien. Aus einer handvoll junger Visionäre, die 1975 einen Gottesdienst starteten der auch kirchenferne Menschen erreichen sollte und am ersten Sonntag 125 Besucher anlockte, ist inzwischen eine Gemeinde geworden die pro Wochenende von etwa 18000 Leuten besucht wird. Ein großer Anteil davon dürften Gäste sein, da der eigentliche Gottesdienst für die 6100 Gemeindeglieder während der Woche durchgeführt wird. Heute bin ich einer dieser Gäste und sitze im Auditorium, das mit 7200 Sitzen doppelt so groß ist wie das „Kodak Theater“ in dem jedes Jahr die Oscar-Verleihung stattfindet. Die zwei 7×4 Meter großen LED-Bildschirme rechts und links der Bühne haben eine Fläche auf der so manche Adventgemeinde Gottesdienst feiern könnte.

Im Hauptgebäude von Willow Creek befinden sich neben dem Auditorium auch zwei Restaurants (750 Sitzplätze), ein Buchladen, drei Turnhallen, 50 Klassenzimmer und eine Jugendkapelle mit 500 Sitzen. Zusammen ergibt das eine Fläche von 69582 m2 - dreimal soviel wie der Petersdom. Das sollte nicht überraschen, ist das Grundstück im Nordwesten von Chicago ist ja auch dreimal so groß wie der Vatikan. Neben diesem Stammsitz gibt es inzwischen drei weitere Orte an denen die Gottesdienste live übertragen werden und erst vor kurzem wurde eine eigenständige Gemeinde im Stadtzentrum von Chicago eröffnet. Der Name „Willow Creek” gehört zu den top 5% der 250 angesehensten Markennamen Amerikas und als Unternehmen ist Willow Creek mit seinen 27 Millionen Dollar Umsatz im Jahr sogar Gegenstand einer Fallstudie der Harvard Universität – eine Auszeichnung nach der sich viele Großunternehmen sehnen würden.

Willow Creek ist also erfolgreich, sehr erfolgreich. Es ist nur zu verständlich, dass nicht nur die Theologiestudenten aus dem nahen Berrien Springs, sondern Christen aus aller Welt von Willow Creek lernen wollen. Um dem Ansturm Herr zu werden gründete Bill Hybels, Initiator und Hauptpastor von Willow Creek, 1992 die Willow Creek Association (Jahresumsatz 20 Mio Dollar), der inzwischen 12000 Gemeinden aus 90 Glaubensgemeinschaften in 45 Ländern angehören. Im Jahr 2005 kamen 65000 Besucher, unter ihnen sicher auch viele Adventisten, zu dem weltweit abgehaltenen „Leadership Summit“ um sich ausbilden zu lassen und dadurch das Wachstum von Willow Creek auch in ihren Gemeinden zu erleben.

Als wir nach den Gottesdienst durch die überfüllten Autobahnen Chicagos kriechen lasse ich meine Gedanken schweifen und sie führen mich von Willow Creek zu einem Ort den ich einige Wochen zuvor besucht hatte. In Battle Creek, zwei Stunden nordwestlich von Andrews, befindet sich ein Freiluftmuseum für Adventgeschichte, das eine wachsende Sammlung von Gebäuden und Artefakten aus der Pionierzeit unserer Gemeinschaft beherbergt. Dort findet jedes Jahr der „Heritage Sabbath“ des theologischen Seminars statt – ein weiterer Pflichttermin. Die beiden Orte haben (außer dem Gleichklang im Namen) gemeinsam, dass sie das, was wir heute als Adventgemeinde erleben und kennen grundlegend geprägt haben. Battle Creek steht für die Wachstumsphase in der unsere Gemeinschaft ihre theologische und organisatorische Gestalt erhielt. Willow Creek bestimmt das Geschehen, wo immer die Adventgemeinde sich heute darum bemüht den modernen Menschen/Jugendlichen anzusprechen, und hat so das Gesicht der Gemeinschaft im 21. Jahrhundert mitgeformt. Man ist deshalb auch als Erstbesucher der Willow Creek Gemeinde mit dem Geschehen sehr vertraut: die Flipchart für Predigtillustrationen, die eingeblendeten Videoclips, die flotte Musik, die Anspiele auf der Bühne – all das kennt man von Evangelisationen und Jugendsabbaten in Deutschland. In Willow Creek wurden diese Methoden erfunden, erprobt und dann vermarktet.

Im Vergleich zu den Dimensionen die ich gerade in Willow Creek erlebt habe wirkt Battle Creek, wirken die Anfänge der Adventgemeinde geradezu winzig und nebensächlich. Als James und Ellen White sich um das Jahr 1856 in Battle Creek niederließen, hatte der Ort gerade mal soviel Einwohner wie Willow Creek Gottesdienstbesucher. Adventisten gab es dort nur eine Hand voll, die sich in Privathäusern treffen mussten. Manch einer mag sich da fragen, warum man sich denn überhaupt mit Battle Creek beschäftigen sollte. Ich erinnere mich an andere Stimmen aus der Heimat, die den Kontrast noch stärker empfanden. Für sie steht die Adventgeschichte die Battle Creek darstellt für die Vergangenheit, die überwunden werden muß. Nach Battle Creek zu blicken, das bedeutet sich rückwärts zu orientieren; das bedeutet in Traditionen zu verknöchern anstatt sie zu transformieren und vorwärts zu gehen. Battle Creek, so meint man, repräsentiert die Geschichte, Willow Creek die Zukunft der Adventgemeinde. Wird dieser Gegensatz auch nicht oft ausgesprochen, so entzündet er sich doch umso öfter unterschwellig an praktischen Fragen wie z.B. der Gottesdienstgestaltung. Hier prallen Battle- und Willow Creek, wenn man diese Namen als Symbole für die zwei Positionen verwenden darf, sozusagen frontal aufeinander.

Dabei wird man, wenn man sich sowohl mit der Adventgeschichte als auch mit Willow Creek kritisch auseinandersetzt feststellen, dass die beiden „Pole“ durchaus Gemeinsamkeiten haben. Man sollte Battle Creek wegen seiner bescheidenen Anfänge nicht unterschätzen - Willow Creek hat ebenfalls einmal klein angefangen. Auch die Adventgemeinde hat sich von Anfang an sehr schnell ausgebreitet und tut das bis heute, wenn man auch in der westlichen Welt nicht viel davon bemerkt. Missionarischer Erfolg ist also eine gemeinsame Stärke. Am Beispiel Battle Creek kann man das Wachstum nicht nur an dem berühmten Sanatorium und dem Dime Tabernacle ablesen, sondern auch daran, dass Ellen White gegen Ende des 19. Jahrhunderts dringend zur Dezentralisierung der dort gebündelten Energien aufrief (Pamphlet “The Removal to Washington (1903)” - PH067 3.1).

Vielleicht ist dieses starke Wachstum darauf zurück zu führen, dass sowohl Battle Creek als auch Willow Creek von jungen Leuten gegründet wurde, eine weitere Gemeinsamkeit die in beiden Gemeinschaften im Laufe der Jahre etwas in den Hintergrund getreten ist. Sicher ist jedoch, dass die schnelle Ausbreitung mit der Nutzung aller zur Verfügung stehender Medien zusammenhing. Die frühen Adventisten waren in ihren Möglichkeiten natürlich wesentlich begrenzter, doch auch sie nutzten auf geniale Weise was ihnen zur Verfügung stand. Zu den bekannten prophetischen Plakaten, die komplexe Prophezeiungen verdeutlichen sollten, kamen etwas später bunte Plastiken der Tiere aus Daniel 7, die während der Evangelisation nacheinander an Seilen aus dem Schatten des Bühnenhintergrundes gezogen wurden und für Staunen beim Publikum sorgten - wenn man so will eine altmodische Version der hauswandgroßen Bildschirme.

Besonders deutlich wird die gemeinsame Verwendung von Medien in der aggressiven Verlagsarbeit. Battle Creek kann wieder als Beispiel der Adventgeschichte dienen denn von dort aus gab James White über Jahre im Alleingang zwei Zeitschriften heraus. Bill Hybels steht dem um nichts nach und hat inzwischen knapp 100 Publikationen die seinen Namen tragen, ganz zu schweigen von den Massen an Predigten, Büchern, Downloads und Arbeitsheften die seine Mitarbeiter produzieren. Hier sind also durchaus starke Parallelen festzustellen.

Allerdings dürfen diese Gemeinsamkeiten nicht den Eindruck erwecken, als wäre Willow Creek nur eine moderne Version der frühen Adventgemeinde. Um nach zu vollziehen wie es zu der oben erwähnten Polarisation kommen konnte darf man auch vor den Unterschieden nicht die Augen verschließen. Der augenfälligste ist wohl die „Kundenorientierung“ von Willow Creek gegenüber der „Schriftorientierung“ von Battle Creek.

Wo die frühen Adventisten durch ihre radikale Loyalität zur Bibel auffielen, waren bereits die ersten Schritte von Willow Creek durch Marktforschung geprägt. Man führte eine Umfrage durch, um die Wünsche der Zielgruppe zum Thema Kirche zu erfahren und kreierte dann genau das was die Mehrheit wollte. Von daher ist es auch zu verstehen, dass Willow Creek als Unternehmen immer schwarze Zahlen schreibt. Es kommt jedoch die Frage auf, ob menschliches Urteil der Maßstab in geistlichen Fragen sein sollte.

Direkte Folge des Gegensatzes ist ein Unterschied in der theologischen Tiefe. Bis heute lässt sich das Glaubensbekenntnis von Willow Creek in 250 Wörtern formulieren. Es ist christlich im weitesten Sinn, was bedeutet, dass in vielen Glaubensfragen entweder Unklarheit oder Pluralismus herrscht. Das wirkt sich zwangsläufig auch in der Verkündigung aus, die ja die Massen begeistern will und von daher nicht zu konkret werden kann. Oftmals besteht die Predigt mehr aus psychologischer Lebenshilfe als aus biblischer Verkündigung. Auf Dauer gesehen hemmt diese Oberflächlichkeit das geistliche Wachstum der Gemeindeglieder. Für die frühen Adventisten hingegen waren Fragen der Lehre zentral. Sie sahen ihre Aufgabe darin die Wahrheit uneingeschränkt zu verbreiten. Bis heute ist es typisch adventistisch die Bibel sehr genau zu studieren und ihre Lehren detailliert zu vertreten.

Ergebnis dieses Bibelstudiums war auch die Erkenntnis der Adventpioniere, dass Gott sie mit dem ganz besonderen Auftrag ausgestattet hat, die Welt auf sein zweites Kommen vorzubereiten. Der Fokus adventistischer Mission war also von Anfang an globaler als der von Willow Creek. Im Gegensatz zu Bill Hybels Ansatz beschränkten die Adventisten sich nicht auf „unchurched Harry“, den weißen, amerikanischen Mittelstandsbürger zwischen 25 und 45 der auch heute noch die Mehrzahl der Sitze in Willow Creek füllt, sondern versuchten alle Rassen und Schichten in allen Ländern mit ihrer spezifischen Botschaft zu erreichen. Es sind diese Unterschiede, die bei einigen die Sorge aufkommen lassen, dass eine Orientierung an Willow Creek zum Verlust adventistischer Besonderheiten und Ideale führen könnte.

Gibt es also nichts was Adventisten von Willow Creek lernen könnten? Doch! An vorderster Front steht dabei die Betonung von Hauskreisen. Willow Creek hat wöchentlich 2700 Kleingruppen in denen sich etwa 17000 Mitglieder treffen. In der Adventgemeinde wird viel über Hauskreise und deren Effektivität geredet, aber wenig getan. Willow Creek setzt dieses Ideal praktisch um und das ist ein wichtiger Faktor des Erfolgs. Die Gemeindeglieder werden ausgebildet um solche Gruppen zu leiten und damit auch missionarisch nach außen zu wirken.

Ein anderer vorbildlicher Aspekt ist die missionarische Kreativität von Willow Creek. Über 100 verschieden Programme existieren um Menschen anzusprechen. Weltweit gesehen kann die Adventgemeinde wohl mithalten, aber weniges davon ist gleichermaßen innovativ, vor allem im westlichen Kontext. So hat Bill Hybels z.B. schon lange das Missionspotential erkannt, das in der erschreckende Scheidungsquote von 50% steckt. Willow Creek bietet einen Scheidungsbewältigungskurs an, der Menschen in dieser tragischen Lebensphase Trost, Hoffnung aber auch handfeste Hilfe anbietet und sie auf Gott hinweist. Nicht alle Angebote sind so zielführend wie dieses, aber das Prinzip nach Wegen zu suchen um Menschen anzusprechen ist in jedem Fall nachahmenswert.

Nicht unerwähnt bleiben darf auch die praktische Orientierung und Anschaulichkeit der Predigten in Willow Creek. Natürlich kann es nicht darum gehen sich auf humanistische Lebenshilfe zu reduzieren, doch könnte eine gesunde Mitte, die die biblische Botschaft veranschaulicht und anwendet der Adventgemeinde helfen das Evangelium nicht nur im Kopf sondern auch im Herz zu haben. Selbst drei Wochen nach meinem Besuch werde ich die Botschaft von Bill Hybels anhand der fünf Illustrationen auf der Bühne noch rekonstruieren können. Das ist durchaus bemerkenswert, müssen doch viele adventistische Pastoren bereits am Montag bei ihren Gemeindegliedern eine völlige Predigtamnesie feststellen. In diesen und sicherlich auch anderen Punkten kann man durchaus von Willow Creek lernen.

Wie ist das nun mit der Zukunft der Adventgemeinde? Liegt sie in Willow Creek oder Battle Creek? Die Antwort lautet: weder noch. Natürlich kann der Adventismus ohne Battle Creek, ohne seine Wurzeln nicht in die Zukunft wachsen. Man muß nicht Heidegger lesen um zu verstehen, dass alles Dasein von der Vergangenheit bestimmt ist. Battle Creek hat uns zu dem gemacht was wir sind. Es ist unsere Identität und Daseinsberechtigung. Als Adventgemeinde können und wollen wir uns nicht davon trennen. Deshalb kann Willow Creek nicht die Zukunft der Adventgemeinde sein, denn es ist nicht adventistisch. Eine völlige Identifikation hätte die Auflösung unseres biblischen Selbstverständnisses zur Folge. Auf der anderen Seite kann Battle Creek nicht alle Fragen der Gegenwart und der Zukunft beantworten. Wir müssen uns mit Problemen auseinander setzen die so noch nie da gewesen sind. Willow Creek kann für uns ein Vorschlag sein, mit dem wir uns im Ringen um einen Weg in die Zukunft kritisch auseinandersetzen. Es gilt abzuwägen was gut und was schlecht ist. Welche positiven Aspekte können wir übernehmen, ohne zu verlieren, was wir an Gutem bereits haben? Möge Gott uns Weisheit schenken diese Fragen zu beantworten!


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Re: Machen wir mal einen Versuch

Beitragvon deria » Fr 1. Feb 2008, 21:21

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